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Foto: ap/kammerer

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Pro
von Christoph Winder

Manche Wörterbücher für Touristen besitzen ein gutes Feature: Neben obszönen, beleidigenden und sonst wie offensiven Vokabeln stehen kleine Bomben oder Totenköpfe, auf dass der, der sie im Ausland verwendet, verstehe, was er damit potenziell auslöst. Wer einen Franzosen "connard" oder einen Spanier "hijo de puta" nennt, darf sich nicht wundern, wenn es hinterher im Karton raschelt.

Das schulische Äquivalent zu Bömbchen oder Totenkopf ist die Betragensnote. Sie gibt dem Schüler Auskunft darüber, welche Wirkungen er mit gewissen sozialen Verhaltensweisen erzielt. Wir leben in wenig stilsicheren Zeiten. Ohne Betragensnote würde mancher glauben, dass es völlig okay ist, wenn er den Lehrer einen alten Motherfucker nennt oder sich anderweitig aufführt wie Rotz am Ärmel.

Betragensnoten sind Wegweiser. Als solche geben sie Orientierung, als solche brauchen wir sie. Ein Schüler mit dem Berufsziel "Gangsterrapper", der in Betragen einen Einser ausfasst, weiß: Ich habe was falsch gemacht. Besseres Feedback als von einer Note kann man kaum erwarten.

Kontra
von Ljubisa Tosic

Es erinnert sich unser Freund mit gewissem Schaudern an seine Mittelschulzeit, insbesondere ob eines recht ruhigen Sitznachbarn. Blieb dieser der Schulbank nicht lange treu, beansprucht er dennoch einen Ehrenplatz im Archiv der Erinnerungen unseres Amigos. Dessen Nachbar bewahrte nämlich dort, wo an sich lebenswichtige Schummelzettel lagen, eine Pistole – er zeigte sie unserem Freund während des Unterrichts, still dessen Angst genießend.

Der Waffengourmet, der im Malunterricht ein Hitler-Porträt herbeizauberte, als es galt, sein Vorbild zu zeichnen, kam aber in den Genuss passabler Betragensnoten. Er wurde vom Lehrkörper nicht unnötig gereizt, und das war wohl gut so.

Soll jetzt nicht als Plädoyer für Waffenbesitz in Schulklassen missdeutet werden – vielmehr ist gemeint: Noten können Achtsamkeit gegenüber und Kommunikation mit Zöglingen nicht ersetzen. Nicht nur bei Waffenpsychopathen, auch bei Normalos ist die Pubertät eine heikle, stürmische Zeit der Selbstsuche. Sie bedarf entweder intensiver oder gar keiner Hilfe. Noten sind kein Weg. (RONDO, 1.7.2016)